Diese Reise hat eine Vorgeschichte. Ich fahre nämlich spontan ins Tessin, Freunde besuchen. Da man in Ascona nicht zelten kann und es auch keinen vernünftigen Stellplatz gibt, buch ich ausnahmsweise ein kleines Zimmer im Hotel "La Perla". Meine Candy lasse ich derweilen beim Lido stehen, weil es dort sehr günstige Parkplätze gibt.
Ich sehe mir einmal mehr Ascona an und genehmige mir einen Apéro am See. Dann treffen meine Freunde ein - die Überraschung ist gross. Wir verabreden uns zum Nachtessen und ich freue mich auf einen gemütlichen Abend.
Eigentlich hätte ich heute via Malojapass ins Engadin weiter fahren wollen, über Italien. Aber das Wetter streicht meine Pläne komplett durch. Über die Alpen legt sich eine Kaltfront und es regnet ziemlich stark. Somit beschliesse ich in die andere Richtung zu fahren, südwärts gegen Genova.
Schon kurz nach der Grenze erreiche ich dabei das Dorf "Mergozzo". Kindheitserinnerungen an überschwemmte Campingplätze und unser blau-oranges Familienzelt kommen hoch.
Die Autobahn bringt mich dann nach Genua. Wie in den letzten Jahren schon immer, ist auch heute noch Chaos da. Ich beschliesse, in Richtung Frankreich weiter zu fahren und halte erst in Nizza wieder an.
Danach fahre ich noch etwas weiter, bis in die Nähe von Avignon. Da ist Schluss. Ich finde einen super komfortabel eingerichteten Rastplatz und richte mich für die Nacht ein. Ankertrunk, Abendstimmung geniessen und darüber nachdenken, was mich hier hin gebracht hat. Vivre le Moment - wie man in der Provence sagt.
Es ist schon immer wieder eine Freude, mit Candy unterwegs zu sein. Zufrieden schnurrt ihr kleiner Diesel und wir kommen flott durch den französischen Verkehr. Die Landschaft ist einmal mehr atemberaubend - als ich aber den Rastplatz sehe, wo Fröschli einst stehen geblieben ist, kommen dennoch mulmige Nostalgiegefühle auf.
Lyon oder Grenoble? Grenoble. Nach einer problemlosen und entspannten Fahrt durch Italien und Frankreich stelle ich wieder einmal fest: Die Schweizer können einfach nicht Auto fahren. Welcome Home - es wird wieder gedrängelt, es werden wieder Stinkefinger gezeigt, es wird wieder rechts überholt. Die Schweizer scheinen ein zufriedenes Volk zu sein, wenn sie keine anderen Probleme haben, als sich im Verkehr zu ärgern.
Rendez-Vous mit Freunden um 01:00 Uhr an der Raststätte Gotthard Nord. Hmmm… schlafen sollte man ja auch noch etwas. Ich fahre schon mal um neun los und schlafe dann auf dem Rastplatz noch einige Stündchen. Die Freunde treffen pünktlich ein und wir genehmigen uns noch einen Cappuccino aus dem Automaten. Dann geht es los. Ziel ist einmal mehr die Toscana. Nur dieses Mal eher in den Bergen, in der Nähe von Florenz.
Wir kommen super voran und plötzlich ist da Parma. Ich muss mich konzentrieren, um nicht in Richtung La Spezia abzubiegen. Via Bologna und Richtung Florenz fahre ich zum ersten Mal. In der Region Florenz dann erkenne ich die Autobahn dann doch. Ich bin da irgendwann schon mal durchgefahren, über die "Panoramica".
Zu früh treffen wir auf dem Agriturismo "Vallebona" ein. Wir dürften eigentlich nicht vor 10 Uhr eintreffen, sind aber schon gegen neun da. Nun heisst es Zeit überbrücken und sich gut verstecken. Meine Freunde wollen den Rest ihrer Familie überraschen - sie haben ihr Eintreffen nicht angekündigt.
Die Überraschung gelingt, man freut sich über unser unverhofftes Eintreffen. Da ich nicht vorgebucht bin, stelle ich einfach Candy auf das Gelände und darf dort übernachten. Ich beschliesse, zwei Nächte zu bleiben und die Menschen kennenzulernen. Das ist, wie sich zeigen wird, ein sehr weiser Entscheid.
Schon früh genehmige ich mir nach einer sehr kalten Nacht einen Kaffee in der unglaublichen Ruhe. Sich von Pferden und einem Esel wecken zu lassen, als einzige Geräusche, das ist schon Luxus.
Heute ist Samstag. Eigentlich wird am Samstag nicht geritten. Für mich wird aber eine Ausnahme gemacht, weil ich ja morgen schon wieder weiter will. Ich erhalte eine Privatstunde mit Valeria, der Reitlehrerin.
Mein Pferd heisst Merlino und ist glücklicherweise nicht so gross wie andere. Zuerst wird Merlino geputzt, dann gesattelt und schliesslich darf ich ihn zur Reitmanege führen.
Valeria zeigt mir alles ganz genau, mit viel Geduld und ebenso viel Witz. Ich reite und geniesse diesen Moment. Ich denke, das könnte mir noch Spass machen. So mit dem Pferd durch die Prärie zu reiten. Oder durch die Olivenbäume, je nachdem.
Viel zu früh ist die Reitstunde vorbei und ich begleite Merlino wieder zum Stall.
Danke, Valeria, ich habe das genossen.
Das Essen hier ist einfach herrlich. Ich esse viel zu viel, so gut wird gekocht. Meine Freunde reiten heute alle aus. Ich hingegen packe und mache mich auf die Fahrt nach Florenz und weiter an die Küste bereit. Zuerst schaue ich aber noch zu, wie sie alle weg reiten. Ich verabschiede mich - es ist, als ob ich mich von Familie verabschiede.
Die Fahrt durch Florenz ist lustig. Mitten durch das Gewühle. Danach nehme ich die Landstrasse in Richtung Lucca. Ein schönes Wiedersehen, mit "meiner" Stadt hinter Le Mura. Ich flaniere etwas auf der Mauer und esse ein Gelato vom zweitbesten Glacéstand der Stadt. Der beste liegt etwas ausserhalb und ist deshalb nicht in Reichweite.
Zum Schluss fahre ich noch nach Viareggio weiter, finde einen Campingplatz für eine Nacht und mache Feierabend am Meer.
Kennst du das Spiel "Kilometerfresser"? Anstatt mit Würfeln spiele ich es heute mit Candy. Wir rauschen an die 700 km durch die Cinque Terre, dem Golf von Genua und der Côte d'Azur entlang, durch die Provence bis in die Camargue.
Zuvor habe ich aber beim Camping angefragt, ob sie freie Plätze haben. Sonst hätte ich irgendwo dazwischen einen Stopp eingelegt.
Langsam kenne ich diese Strecke richtig gut. Die Fahrt durch Genua ist halt momentan ein Erlebnis, aber kein Schlechtes. Ich verlasse die Autobahn vor Genua und folge dann der SS1, damit ich nicht auf die Umfahrung komme. Die Schleichfahrt durch den antiken Hafen und danach durch den Hafen der Riesenschiffe und Fähren ist malerisch und interessant. Die vielen alten, bunt bemalten Häuser könnten endlose Geschichten erzählen.
Nizza lasse ich heute links liegen - ein Kreis schliesst sich, wir sind innerhalb weniger Tage schon wieder hier.
Zum Schluss folgen dann die wenigen Kilometer Landstrasse durch die Camargue, Richtung Meer, Richtung Saintes-Maries. Müde aber sehr zufrieden treffe ich wieder hier ein, finde einen guten Stellplatz und setze Anker.
Die Camargue begrüsst mich nicht nett. Mitten in der Nacht geht ein Gewitter los. Markise einfahren, Möbel sichern, Fenster schliessen. Das nennt man dann wohl nachtaktiv. Der Dienstag beginnt regnerisch. Immer mal wieder ein paar Tropfen, der Himmel wolkenbehangen, die Luftfeuchtigkeit hoch.
Erst gegen Mitte Nachmittag übernimmt die Sonne wieder. Das Bad im Meer ist herrlich. Daneben ist heute viel Ruhe angesagt. Ich erhole mich bei einem Buch und erkläre & zeige den interessierten Zaungästen Candy, die sich irgendwie zur Attraktion des Campingplatzes gemausert hat. Auf dem Platz "Clos du Rhône" ist für Hochsaison im Juli vergleichsweise nicht viel los. Dennoch ist mir schon etwas gespenstisch zu Mute, so in dieser schrägen Virenzeit 2020.
Die Abendstimmung entschädigt für das erduldete Gewitter.
Heute beginne ich den Tag mit Home-Office. Wie schön es doch ist, zu arbeiten, wenn die Füsse im Sand stehen. Die Markise gibt Schatten, ein kühles Getränk hält bei Laune. Ich könnte mir vorstellen, aus der Ferne zu arbeiten, immer gerade dort zu sein, wo es warm ist. Ich gehe früh im Meer schwimmen. Ein riesiger Pool nur für mich alleine. Reisen in Coronazeiten ist etwas anders geworden und das Ausweichen von Massenzeit ist wichtiger denn je.
Am Nachmittag begebe ich mich in Richtung Vieille Ville von Saintes-Maries. Doch oh weh, die Menschen hier bewegen sich, als hätte es keine Pandemie gegeben, als wäre Corona nur eine neue Sorte Clacé, die niemand wirklich bestellen will. Niemand trägt die Maske, die Gassen von Touristen überströmt, unbekümmert, lachend oder schreiend (zumindest die kleinen, wenn sie eben kein Eis erhalten haben). Somit wird nichts aus meinem geplanten Einkaufsbummel. Das muss ich mir dann doch nicht antun. Ich umgehe die Fussgängerzone grossräumig und kaufe im Supermarkt noch rasch etwas Weinvorrat für die nächsten Tage - selbstverständlich mit Maske.
Es erinnert mich etwas an François le Champi oder an meine ersten Französischlektionen an der Bezirksschule - le Fainéant, der unter dem Baum liegt und eben nichts tut. Wie schön das Leben doch sein kann, wenn man ein gutes Buch dabei hat und die Temperatur nicht unter zwanzig Grad sinkt. Heute ist aber leider bereits mein letzter Tag hier.
Derweilen löst Bruno, Chef de Police im Périgord (unweit von hier), seinen zwölften Fall. Wie immer mit Spürsinn, Schalk, gutem Essen und noch besserem Wein. Ich beisse in mein noch warmes Baguette, nehme noch einen Kaffee und gebe mich dem Tag hin.
Auch den heutigen Tag beginne ich mit einem Bad im Meer. Und wieder gibt es hier nur mich und die Fische - herrlich. Danach nasche ich gewohnheitsmässig an meinem frischen Baguette und beginne langsam rund um Candy etwas aufzuräumen. Der Vorteil eines Campers gegenüber eines Zeltes ist die Geschwindigkeit, mit der man seine Bleibe zusammengeräumt hat. Noch vor Mittag verlassen wir den Campingplatz und fahren in Richtung Aigues-Mortes.
Wir nehmen die romantische Strecke über den Bac du Sauvage, die Gratisfähre. Aigues-Mortes ist wie ausgestorben, als wir kurz nach Mittag dort eintreffen. Ich mache einen Stadtbummel und gehe sogar etwas shoppen.
So gegen drei Uhr fahre ich dann mit Candy Richtung Autobahn. Mal sehen wie weit wir kommen, denke ich mir dabei. Die Fahrt verläuft ruhig und absolut problemlos. Im Kopf "Gäbs es nid" von Peter Reber rollt der Asphalt unter den Räder durch. Die Sonne versinkt langsam in den Rückspiegeln und die Grenze zum Heimatland ist plötzlich da. Als wär's mal eben um die Ecke: Heute Morgen noch im Meer gebadet und nun schon Gepäck ausräumen am Friedweg.
3500 km in einigen wenigen Tagen. Candy hat einmal mehr bewiesen, was in ihr steckt. Dankbar für die vielen lieben Menschen, die ich habe kennenlernen dürfen und für die wunderbaren Erlebnisse der letzen Tag - und auch etwas müde - sinke ich ins Bett.