Reisen im Jahr 2020 ist nicht einfach. Wir werden umlernen müssen. Die Zeiten der unbeschwerten Reiserei ist zumindest im Moment ziemlich vorbei. Ich bin froh um Candy, denn im eigenen kleinen Wagen ist es wie in einem Kokon, die Aussenwelt ist optisch da, ohne Eingriff zu nehmen. Grossen Menschenansammlungen kann ich aus dem Weg gehen. Grundlegende Sicherheitsmassnahmen können einfach umgesetzt werden. La Mascherina gehört halt dazu, egal in welchem Land man gerade ist. Das Reisen trotz Corona ist anders geworden, verschwinden wird es nicht.
Ich bin immer noch besser dran als eine gute Freundin. Sie hat ein halbes Jahr unbezahlten Urlaub, lange vorbereitet und mit einer Weltreise geplant. Nun wird daraus nichts, der Urlaub muss trotzdem bezogen werden. Glücklicherweise ist sie eine Frohnatur und macht aus jeder Situation etwas Gutes. Dominique, ich wünsche dir an dieser Stelle sehr viel Spass, wo immer du auch hingehen kannst.
Wir schreiben den 26. September 2020. Es geht los. Geplant war ursprünglich eine Abfahrt um zirka 4 Uhr morgens. Hausarbeit und Packen haben das dann verzögert. Gegen 10 bin ich soweit. Candy steht bereit, wir können los. Am Gotthard werden 13 Kilometer Rückstau gemeldet. Der fällt also weg. Der Grosse Sankt Bernhard fällt ebenfalls aus dem Rennen, denn letzte Nacht hat es Mengen geschneit, die Tunnelzufahrt ist momentan wegen Schnee gesperrt. Wir fahren Richtung San Bernardino los. Noch vor Zürich erreicht mich die Meldung im Radio, es habe ob Chur einen Unfall gegeben und die San Bernardino Route sei gesperrt. Na dann, Nordring und ab nach Innsbruck. Nach der Grenze kaufe ich ein Zehntagespickerl für Österreich und mache mich auf die bekannte Brennerroute. Am Arlberg schneit es, Innsbruck ist weiss wie die Landschaft am Brenner auch. Es ist September, Mann.
Erst kurz vor Einbruch der Dunkelheit erreiche ich Rimini, das erste Tagesziel meiner Reise. Da steht auch schon der Iveco von Claudia. Ich parke meine Candy daneben. Claudia und ich geniessen einen schönen Abend mit einem guten Tropfen Rotwein und freuen uns über das Wiedersehen. Kennengelernt in Pompei, am Vesuvio und dann sich in lockeren Abständen immer mal wieder gesehen. Das nenne ich Freundschaft. Schön, dass es geklappt hat.
Früh am Morgen fährt Claudia mit ihrem Mobilhome weiter Richtung Süden. Sie trifft sich mit Familie in Apulien, diesmal ohne Tochter. Ich treffe mich auch mit Familie in Vada, diesmal ohne Olivenernte. Ich nehme mir an diesem Morgen noch etwas Zeit, schaue die Hafenanlage von Rimini an und fahre erst Mitte Vormittag Richtung Süden los. Dabei folge ich der Küstenstrasse, welche ich in umgekehrter Richtung auch schon gefahren bin. Bei Riccione ist die Strasse gesperrt - ein Slow-Up mit Fahrrädern und Skatern beansprucht den Ganzen Platz für sich. Auf wilden Umwegen, einigen Sackgassen und vielen hupenden Fahrzeugen erreiche ich die Strasse südlich von Riccione wieder. In Catolicca entscheide ich mich wieder für die sehr attraktive Bergroute über Cabicce Monte, die SP44. An Sonntagen darf diese Strasse erst nach dem Mittag befahren werden. Somit stelle ich meine Candy an einem attraktiven View-Point aus und warte die Mittagszeit ab. Dabei sprechen mich zwei Wanderer an. Das Pärchen hat vor vielen Jahren im Kanton Aargau gewohnt. Stolz sprechen sie etwas Mundart.
Die SP44 ist eine herrliche Aussichtsstrasse durch den Parco Naturale Monte San Bartolo. Ab Pesaro folge ich dann wieder der Küstenstrasse SS16. In Fano ist Markt. Ich halte an, besichtige die schmucke Altstadt mit Stadtmauer und flaniere über den Markt. Bei Senigallia beschliesse ich, landeinwärts in Richtung Lago Trasimeno zu fahren. Die Auffahrt in die Berge ist sensationell schön. Eine wunderbare Passfahrt durch wildes Berggebiet. Ich folge der SP360, vorbei an Barbara, dann der SP15 Pergola - SP3 und SS219 Umbertide bis Tuoro sul Trasimeno. Dort campe ich direkt am See. Herrlich, aber es regnet. Ziemlich stark sogar, der Camping ist ziemlich unter Wasser. Meinen Ankertrunk will ich im Ristorante ausserhalb des Campings kaufen und stampfe durch den Regen. Leider merke ich erst auf halber Strecke, dass ich die Mascherina vergessen habe.
Der Morgen präsentiert sich deutlich angenehmer. Ich geniesse einen Kaffee am See. Dann lege ich meine Route fest. Ganz in der Nähe liegt Montepulciano, gleich daneben Montalcino - zwei grossartige Weinstädte. Klar, dass ich die besichtigen muss. Also los, über die kleinsten Nebenstrassen nach Montepulciano. Dieses Bergstädtchen ist bei Touristen sehr beliebt. Das sieht man an den vielen und grossen Parkplätzen, die sich rund um die Stadt schmiegen. Das Städtchen selbst darf nur von Einwohnern befahren werden. Ich schlendere durch das Städtchen. Dann setze ich mich in ein Ristorante und nehme Pranzo. Herrlich gut, dazu etwas Wein.
Ich beschliesse, Montalcino auszulassen und direkt nach Castiglione della Pescaia weiter zu fahren. Vor allem auch, weil das Wetter wieder schlechter wird und die Küste deutlich bessere Bedingungen erwarten lässt.
In Castglione ist der Bär los. Zusammen mit gefühlten hundert anderen Schweizern stehe ich am Checkin an - doch sie finden ein Plätzchen für mich. Der Campingplatz ist grosses Kino: Luxus pur. Aber voll von Schweizern, die sich alle irgendwie zu kennen scheinen. Später erfahre ich, dass es sich dabei um verschiedene christliche Gemeinden handelt.
Ich gehe noch kurz an den Strand und geniesse danach den kleinen Ankertrunk. Über WhatsApp erfahre ich, dass Magdi, die Schwester meines Schwagers auf dem gleichen Camping Ferien macht. So ein Zufall. Gute Gespräche bei einem Glas Wein runden den Abend bis weit in die Nacht ab. Ich liebe die Gespräche mit dir, Magdi.
Früh beschliesse ich, meinen Aufenthalt hier zu verlängern. Ich habe angefangen, einen Roman zu schreiben. Das geht auf einem Camping wunderbar. Ich geniesse das Meer und die Ruhe, die sich auch auf einem vollen Campingplatz durchaus finden lässt. Lesen und schreiben, einfach Ferien.
Schon erstaunlich, wie viele Menschen das nicht geniessen können. Sie rennen immer irgend etwas hinterher und leben ständig in Furcht, sie könnten etwas verpassen. Ich bin froh, nicht diesem Trend zu folgen und einfach das zu schätzen, was ich habe, sehe, höre und rieche. Das Leben ist wunderbar.
Heute Morgen habe ich die Fotos vom Sonnenaufgang gemacht. Das in der Mitte, das beste von allen, ist allerdings nicht von mir - das ist von Magdi. Nach dem Kaffee packe ich dann zusammen und mache mich auf den Weg nach Vada. Eine kurze Strecke nur. Ich nehme die SP39 (Via Vecchia Aurelia) und nicht die Schnellstrasse SS1.
In Cecina gehe ich noch einkaufen. Ich weiss, dass ich bis Sonntag kein Auto mehr haben werde. Also einkaufen und sich mit allem Nötigen eindecken ist angesagt.
Danach fahre ich kurz nach Pastinà, Haus und Garten anschauen. In diesem Jahr werde ich an der Ernte nicht dabei sein, Corona zwingt die Familie zu anderen Lösungen. Zu einem Aperitivo und der Besichtigung der letzten Bauarbeiten reicht es aber schon. Herrlich, der neue Sitzplatz. Da hat sich gewaltig etwas getan. Sieht richtig gemütlich aus. Ich freue mich schon darauf, wenn ich auch wieder einmal im Haus wohnen kann. Nach dem Apéro fahre ich dann zum Campingplatz. Oh Schreck, da ist nicht mehr viel frei. Meine Schwester hat nicht gebucht, wie auch in den letzten Jahren nicht. Das hole ich nun nach, buch für mich und reserviere für meine Familie, damit wir dann zusammen campen können. Dann installiere ich meine Candy mit allem drum und dran, für eine Woche sorgenfreies campen. Anker gesetzt.
10 Tage am gleichen Ort. Das ist ein ganz neues Reisegefühl. Die Grenzen des Campingbusses werden aufgezeigt. Wenn es regnet, wird es ganz schön eng. Trotzdem ist es schön, sich auf das Wesentliche zu reduzieren und vor allem mit sehr wenig auszukommen. Corona hat auch Italien voll im Griff, la Mascherina gehört überall mit dazu. Ich gewöhne mich langsam dran. Daneben schreibe ich fleissig an meinem Roman weiter.
Am Sonntag trifft die Familie ein. Ab jetzt ist nicht mehr schreiben angesagt, sondern diskutieren und Familienleben geniessen. Miteinander kochen, Spiele spielen, reden. Das ist richtig schön. Manchmal fällt mir auf, was mir beim alleine sein fehlt. Wir machen am Dienstag und am Donnerstag Ausflüge. Wir gehen zweimal einkaufen und geniessen die wenigen Sonnenstunden, die es in diesem Herbst gibt.